1. August 2023 von dkortmann

Zum Elterngeld 2023

Dr. Michael Ruoff

Der Aufschrei war groß, als Familienministerin Lisa Paus die Senkung der Einkommensgrenze für den Bezug von Elterngeld auf ein Familieneinkommen von € 150.000 verkündete. Aber niemand stellte die Frage, ob das Elterngeld in den betroffenen Einkommensregionen wirklich die richtige Lösung ist, ob es Paaren wirklich die Entscheidung erleichtert, Eltern zu werden. Oder kurz: Würden wir das Elterngeld für diese Paare heute noch genauso einführen?

Das Elterngeld ist nicht primär Mittel der Umverteilung, sondern Lohnersatzleistung für die Zeit der Kinderbetreuung durch die Eltern, praktisch meist durch die Mütter. Ich bin selbst Vater und kenne die Realität der ersten Lebensmonate von Kindern und habe daher großen Respekt vor allen Eltern, egal welche Rollenaufteilung sie wählen. Dennoch sind Aussagen, das Elterngeld wäre eine Anerkennung der Gesellschaft, würde die Frauen aus der Abhängigkeit des Ehemannes befreien oder wäre eine Rückzahlung auf die vielen Steuern und Abgaben der Vorjahre, nicht nachvollziehbar. Wir sollten Kinder um ihrer selbst willen bekommen, nicht für die Gesellschaft, Paarbeziehungen bestehen aus vielen Abhängigkeiten und € 1.800 können das nicht ändern oder aufwiegen – die Kaufkraft dieses Betrags ist heute ohnehin rund 23% geringer als 2007. Schließlich: Der Sozialstaat sollte die Bedürftigen schützen und den Bürgerinnen und Bürgern nicht das Geld aus der linken Tasche ziehen, um es in die rechte zu stecken. Genau letzteres passiert aber beim Elterngeld für Paare mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über € 150.000.

Auch unter finanziellen Aspekten setzt das Elterngeld falsche Anreize. Nach Untersuchungen der Universität Tübingen sinkt das Lebenseinkommen von Frauen, die 12 Monate Elternzeit nehmen, um 40%, mutmaßlich weil sie nach der Elternzeit nicht die gleichen Karrierechancen haben wie Frauen ohne Kinder oder wie Frauen, die weniger als 12 Monate pausieren. Wenn Mütter nach der Elternzeit noch rund 30 Jahre Arbeitsleben vor sich haben, kommt da einiges zusammen an Einkommen und daraus resultierendem Steueraufkommen. Bei Familien mit gut sechsstelligem Jahreseinkommen geht es um die am besten ausgebildeten Frauen und Männer unseres Landes. In Zeiten von Fachkräftemangel diesen Eltern den Anreiz zu geben, eine Entscheidung zu treffen, die finanziell für sie selbst und für die Allgemeinheit nachteilig ist, ist wenig sinnvoll. Die Situation ist vielmehr widersprüchlich: Wir beeinträchtigen die Karriere- und Verdienstchancen gut ausgebildeter Frauen, deren Hochschulstudium meist der Staat finanziert hat. Da über 60% der Hochschulabsolventen Frauen sind, wird der wirtschaftliche Verlust daraus immer größer.

Die Aufteilung des Elterngeldes mit den sog. „Vätermonaten“ (die im Einzelfall auch Müttermonate sein können) mag 2007 sinnvoll gewesen sein, um die Akzeptanz des Einsatzes von Vätern für die Care-Arbeit zu fördern. Heute ist dieses Anliegen weniger dringend. Denn immerhin oder nur rund 50% der Väter nehmen Elternzeit. Ob sie sich in den Monaten der Elternzeit wirklich der Kinderbetreuung verschreiben und ihrer Partnerin beruflich den Rücken freihalten, ist offenbar kaum untersucht. Die anekdotische Evidenz lässt daran zweifeln.

Die öffentliche Debatte hat nun die Abschaffung des Ehegattensplittings als alternative Gegenfinanzierung entdeckt. Dazu nur so viel: Bei Paaren im relevanten Einkommensbereich haben meist beide Ehegatten Jahreseinkommen über € 80.000. Das Ehegattensplitting wirkt bei ihnen also gar nicht begünstigend – mit einer Ausnahme: In Jahren der Elternzeit. Dass die Abschaffung der Steuerklasse V der Gleichstellung helfen würde, ist unbestritten, aber gehört in eine andere Debatte.

Zur Lösung: Wie haben Frauen, die zu ihrem vollen Einkommenspotenzial zurückgekommen sind, ihren beruflichen Wiedereinstieg gemeistert? Die haben meist äußerst kurz pausiert und eine private Kinderbetreuung organisiert, weil es in Deutschland keine qualifizierte Kinderbetreuung für Kinder im ersten Lebensjahr gibt. Hier gibt es nicht mal ein Berufsbild dafür. In anderen Ländern, bspw. Australien, ist hierfür ein Bachelor-Abschluss vorgesehen, damit eine hochwertige frühkindliche Bildung garantiert wird. Aber auch nach dem ersten Geburtstag des Kindes greifen diese Familien meist auf teure private Betreuungsangebote oder Fachkräfte zurück, da diese mit der erforderlichen Flexibilität, die das Berufsleben erfolgreicher Akademikerinnen erfordert, und mit dem persönlichen Bildungsanspruch besser zu vereinbaren sind.

Die Kosten dafür zahlen diese Paare bisher größtenteils aus dem Nettogehalt, weil die steuerliche Geltendmachung auf zwei Drittel der Kosten begrenzt und auf jährlich € 4.000 pro Kind gedeckelt ist.

Wenn wir gut verdienenden Elternpaaren ohne Elterngeld wirklich helfen wollen, müssten wir genau dort ansetzen: Kinderbetreuungskosten sollten in voller Höhe von der Steuer als Werbungskosten absetzbar sein. Sofern man hierfür überhaupt eine Obergrenze ziehen möchte, dann bei dem Jahresgehalt einer gut ausgebildeten Pflege- oder Erziehungskraft. So können diese Elternpaare nach 3, 4 oder 5 Monaten wieder in den Beruf zurückkehren, ihr Lebenspotenzialeinkommen besser ausschöpfen – und wir würden in absehbarer Zeit auch mehr Frauen in Führungspositionen sehen. Zusätzlich sollten wir für die Ausbildung der Betreuungspersonen für Kleinkinder ein Bachelor-Studium vorsehen und den Eltern volle Wahlfreiheit der Betreuungsform gewähren.

Flankierend sollten private Kinderbetreuungseinrichtungen ebenso gefördert werden wie öffentliche, unabhängig von der Gewinnorientierung und den Zuzahlungen der Eltern. Sinnvoll wäre auch der Vorschlag der VdU-Präsidentin Jasmin Arbabian-Vogel, dass Elterngeld nur noch für Zeiten ausgezahlt werden soll, in denen die Eltern paritätisch Elternzeit nehmen.


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