3. Juli 2023 von sevenfacts

Noch mehr Zumutungen der Demokratie

Als ich Ende März den Blog-Beitrag „Zumutung Demokratie“ schrieb, konnte ich nicht ahnen, dass meine Kritik an der Unversöhnlichkeit unserer Debatten rund drei Monate später noch an Aktualität gewinnen würde, nämlich durch die erste Wahl eines AfD-Kandidaten zum Landrat in Deutschland.

Einen Zusammenhang sehe ich nicht nur darin, dass dieser Wahlausgang für die allermeisten Bürger unseres Landes und fast die Hälfte der Wähler des betroffenen Landkreises eine ziemliche Zumutung ist. Ich finde, dass die verbreitete Unfähigkeit, mit den regulären Zumutungen unserer Demokratie umzugehen, genau diese Wahl noch befeuert hat.

Es besorgt mich, dass wir in Deutschland eine ähnliche polare Entwicklung nehmen wie die USA und andere westliche Demokratien, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger gegenseitig in „gut“ und „böse“ einteilen. Selbstverständlich sieht sich jeder selbst auf der guten Seite. Zugleich werden alle, die mehr als nur kosmetische Kritik üben, auf der bösen Seite eingeordnet. Stempel wie „rechts“, „linksgrün“, „lifestyle-links“, „sozialistisch“ oder „neoliberal“ sollen Debatten abkürzen oder gleich beenden, indem man sich die Mühe erspart, in der Sache zu diskutieren und die Wünsche und Bedürfnisse anderer ernst zu nehmen.

Während Parteien des linken Spektrums, allen voran die Grünen, mit einem selten erlebten Selbst- und Sendungsbewusstsein ihre Agenda verfolgen, pflegen Parteien aus dem rechten Bereich teils abstruse Unterstellungen, von denen der Vorwurf des „Volksaustauschs“ noch nicht einmal den Höhepunkt bildet.

Das Denken in Schubladen erschwert es nicht nur, das Verbindende zu suchen, sondern erweist sich schnell als zu grob. Es ist eben ein Unterschied, ob sich eine Politikerin für Klimaschutz einsetzt, weil sie eigentlich den Kulturkampf gegen das Auto befeuern möchte, oder ob sich jemand für die Reduzierung von Klimagasen ausspricht, um die Erderwärmung zu bremsen und zugleich zu zeigen, dass eine Volkswirtschaft auch dekarbonisiert erfolgreich sein kann. Gleichsam können Vorbehalte gegen Zuwanderung einerseits aus (abzulehnendem) völkischen Denken entspringen, andererseits auch aus der ernst zu nehmenden Sorge, dass allzu viele Menschen mit Migrationshintergrund in einer Flüchtlingsunterkunft schwer in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren sind, vor allem, wenn sie keiner geregelten Arbeit nachgehen dürfen.

Je weniger unsere Demokratie mit diesen Schattierungen umgehen kann, desto stärker treibt es Abweichler von der vorherrschenden Sicht auf ein Thema zu extremen Parteien. Der völlig überzogene und von logischen Fehlern durchzogene erste Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) musste selbst bei vielen, die den Klimawandel nicht in Frage stellen, den Eindruck erwecken, es ginge den Verfassern vor allem um die Zumutungen für die Bevölkerung. Dass die Verfasser wochenlange Abwehrdiskussionen führten statt die eigenen Irrtümer zu korrigieren, hat diesen Eindruck nur bestärkt.

Wir mögen es zwar, wenn Politiker leidenschaftlich argumentieren. Aber gerade in der Covid-Pandemie haben wir doch gelernt, dass Wissen teils sehr kurze Halbwertszeiten hat und dass sich scheinbare Gewissheiten schnell als Irrtum erweisen. Etwas weniger Kompromisslosigkeit und etwas mehr daran zu denken, dass man sich eben auch irren kann, täten unseren Debatten daher sehr gut.


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